Ohne Lobby: Selbstständige in der Coronakrise

Auszug

Als die Bundeskanzlerin am 12. März 2020 in ihrer ersten außerplanmäßigen TV-Ansprache dazu aufrief, Sozialkontakte möglichst zu vermeiden, war jedem klar, dass drastische wirtschaftliche Auswirkungen unvermeidlich sein würden. Bereits am darauffolgenden Tag reagierten Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Sie versicherten auf einer Pressekonferenz, dass die Bundesregierung alles Notwendige tun werde, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise einzudämmen. „Wir legen gleich [...] alle Waffen auf den Tisch und zeigen, dass wir gewissermaßen stärker sind als das Problem, das uns da ökonomisch begegnen kann“, sagte Scholz.

Doch auf die Frage, mit welchen Hilfen Menschen rechnen können, die in keinem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen, sondern als Selbstständige arbeiten, und ob diese auf Hartz IV angewiesen seien, wurde der Finanzminister kalt erwischt. Das Schöne in Deutschland sei, dass jede und jeder Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen habe, so dessen ziemlich schmalllippige Antwort. Somit wurde an diesem Tag bereits die Weichenstellung vorgenommen, die vielen Solo-Selbstständigen erst später klar wurde: Sie waren zu keinem Zeitpunkt eine Zielgruppe der später ausgerollten Hilfsmaßnahmen.

Titel: schwarze Socken - runtergerockt und abgezockt

Titel: schwarze Socken - runtergerockt und abgezockt

Ganzer Artikel

So beginne ich in der Juli-Ausgabe meinen Artikel über eine Misere, die knapp 2,5 Millionen Menschen in Deutschland trifft. Der vollständige Text findet sich unter https://www.blaetter.de/ausgabe/2020/juli/ohne-lobby-selbststaendige-in-der-coronakrise, dort für einen Euro abrufbar. Wer die Blätter nicht kennt: Es ist die mit 12.000 Exemplaren auflagenstärkste politische Monatszeitschrift im deutschsprachigen Raum - wie ich finde, in der Regel sehr lesenswert.

BAFA-Skandal

Auslöser für diesen Artikel war ein weniger bekannter Fall BAFA, von dem ich persönlich betroffen war. Als dort gelisteter Unternehmensberater vertrat ich dort fünf Klient:innen, die Hoffnungen in das Programm und in mich gesetzt hatten, ihnen in der Corona-Krise tatkräftig zur Seite stehen zu können.

Dahinter verbirgt sich ein bestehendes Förderprogramm, welches seit Jahren über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) abgewickelt wird. Mit Beginn der Corona-Krise wurde es für betroffene Solo-Selbständige geöffnet. Ab Ende März 2020 konnten Anträge gestellt werden, um externe Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen. Ziel des Programms war und ist es, das unternehmerische Know-how durch externe Berater:innen zu stärken. Bis zu 4.000 Euro Beratungsleistung wurden mit 100 Prozent bezuschusst. Innerhalb weniger Wochen gingen nach Recherchen von SZ, NDR und WDR mehr als 33.000 Anträge ein, die den Staat mehr als 130 Millionen Euro gekostet hätten - ein kleinerer Posten, wenn man die sonstigen Ausgaben für die Corona-Krise zum Vergleich heranzieht.

Zwischen Ende April und Ende Mai fanden dazu Abstimmungen zwischen dem BAFA und dem Bundeswirtschaftsminister statt, die in einer Beendigung des Programms mündeten. Vier Wochen also, in denen weitere 20.000 Anträge eingingen. Vier Wochen in denen die Presseabteilung des BAFA Nachfragen abwimmelte, die am Programm beteiligten Industrie- und Handwerkskammern weiter warben, viele Hoffnungen geweckt und dann nach tausenden unnötigen Abstimmungen zwischen Berater:innen und Klient:innen kommentarlos enttäuscht wurden. Die im Grunde richtige Idee, das BAFA-Programm zu öffnen, scheiterte an grandioser Unterfinanzierung. Bei einer Zielgruppe von 2.5 Millionen Solo-Selbständigen und 450.000 weiteren kleinen und mittleren Unternehmen konnten mit den 130 Millionen Euro Budget lediglich ein Prozent aller Anspruchsberechtigten bedient werden.

Fazit

In den Gesprächen mit der BAFA und dem Aufsicht führenden Wirtschaftsministerium hat mich vor allem die Abgehobenheit der Beamt:innen betroffen gemacht. Beim BAFA sprach ich nicht nur mit dem Fachreferenten, sondern auch mit dem Pressesprecher und dem Sekretariat des Präsidenten. Sie hatten allesamt kein Problembewusstsein dafür, dass die Öffentlichkeit vorsätzlich vier Wochen lang im Unklaren gelassen wurde, indem sie zu weiteren Anträgen einluden - wohl wissend, dass eine Entscheidung von Bundesminister Altmaier ausstand. Ihnen fehlte jegliches Bewusstsein dafür, dass sie bei zigtausenden von Menschen Hoffnungen weckten, die dann bitter enttäuscht werden mussten.

Beim Bundesministerium sprach ich mit der persönlichen Referentin des zuständigen Staatssekretärs, die die Angelegenheit mal bei einem nächsten Jour-fix mit dem Präsidenten des BAFA einbringen wollte. Auch hier kein Reflex das BAFA anzuweisen, kein Unrechtsbewusstsein dafür, dass eine obere Bundesbehörde zu Offenheit und Rechtschaffenheit verpflichtet ist.

In einer Krisensituation muss man dieses Vorgehen der Beamt:innen als Ignoranz kennzeichnen. Aus meiner Sicht ist es dieselbe Ignoranz, die Minister Altmaier später veranlasste, das BAFA-Programm einzustellen und darüberhinaus fast die gesamte Szene der Solo-Selbständigen von Sofort- und Überbrückungshilfen auszunehmen. Dazu mehr in dem oben benannten Artikel.

Das diese Abgehobenheit sich auch an anderer Stelle des Bundeskabinetts zeigt, macht dieses Video deutlich:


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